Mittwoch, 9. Oktober 2024

Ein althochdeutsches Lemma oder zwei?

In den Wörterbüchern zum Althochdeutschen findet sich ein Lemma turtella f. '(gewundenes und gefülltes) Gebäck, Kuchen'. Dieses Wort findet sich (bisher) nur in Gl. 1,359,58f. (5 Hss., 12. Jh., alem. und bair.), 1,397,27 (2 Hss., 12. Jh., alem. und bair.) und in der Handschrift Clm 14498 (11. Jh., Dialekt unbestimmt); im späteren Deutschen ist es nicht vorhanden und auch in den anderen germanischen Sprachen sind keine Entsprechungen vorhanden.

In den althochdeutschen Belegstellen sind zwei unterschiedliche Lautungen vorhanden, nämlich das als Lemmakopf gewählte turtella sowie eine Form turtula, die in den Wörterbüchern als eine Variante davon angesehen wird; beide erscheinen daher in einem Lemma, vgl. etwa R. Schützeichel, Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz 10, 123:

Der einzige Hinweis auf die Herkunft des Wortes scheint sich in Köbler, Althochdeutsches Wörterbuch s.v. turtella zu finden: "Lw. lat. tortella?" (dagegen bietet Splett, Althochdeutsches Wörterbuch 1, 1237 keine weitere [Literatur-]Angabe). Dieses trifft sicher zu. Grundlage für ahd. turtella ist somit mlat. tortella f. 'eine Art von Gebäck', wohl genauer eine vulg.lat. Lautung mit tur-, wie sie in der Wortgruppe von lat. torta f. 'ein gewundenes Gebäck, der Striezel' in späterer Zeit vorkommt (vgl. u.a. mlat. turtam in den Reichenauer Glossen; vgl. auch etwa nhd. dial. schweiz. turten f. 'Torte').

Jedoch wird dabei die Form ahd. turtula nicht verständlich. Sie lässt sich aber leicht erklären, wenn man für sie eine weitere mittellateinische Variante herzuzieht (eine inneralthochdeutsche Umbildung wird man dagegen kaum annehmen wollen), und zwar spätlat./mlat. tortula f. 'kleiner Striezel, eine Art von Gebäck bzw. Brot', natürlich ebenfalls mit einer vulg.lat. Lautung tur-. Mlat. tortella und spätlat./mlat. tortula sind zwei unterschiedliche Ableitungen von dem schon erwähnten lat. torta.

Falls diese Erklärung zutrifft, hat man es mit zwei unterschiedlichen Lehnwörtern und dann auch mit zwei althochdeutschen Lemmata zu tun, die man als ahd. turtella und turtula in einem Wörterbuch des Althochdeutschen aufnehmen muss.